Die Beispielflüsse

Die Beispielflüsse
zur Anwendung des Pendelraum-Konzepts

Das Pendelraum-Konzept wurde beispielhaft an drei unterschiedlichen Flüssen bzw. Flussabschnitten in Deutschland angewendet (siehe Abbildung 1). Diese liegen in unterschiedlichen Gewässergroßlandschaften, wodurch sich die Umweltfaktoren unterscheiden, die das Fließverhalten bestimmen. Dazu zählen beispielsweise die Geologie, das Gefälle und die Niederschläge. 

Dynamischer Fluss in den Voralpen: Die Ammer

Der Fluss

Im Ammergebirge, einem Teil der Bayerischen Alpen, entspringt die Ammer bei Oberammergau. Aufgrund ihrer Lage ist sie als dynamischer Wildfluss durch die starken Niederschläge und die Schneeschmelze der Alpen geprägt. Sie hat eine sehr gute Wasserqualität und beherbergt viele geschützte Tier- und Pflanzenarten. Ab dem Austritt der Ammer aus der Ammerschlucht bei Peißenberg weitet sich das Flusstal und die landwirtschaftliche Nutzung in der Aue nimmt deutlich zu. Im Unterlauf bis zur Mündung in den Ammersee ist sie daher durch Uferverbau und Eindeichung in ihrer Entwicklung und Dynamik stark eingeschränkt. In diesem Gebiet, zwischen Peißenberg und dem Ammersee liegt das Projektgebiet des Pendelraum-Projekts. Hier wird ermittelt, wie viel Platz die Ammer eigentlich mindestens für die Ausbildung ihrer flusstypischen Strukturen brauchen würde.

Die Bestimmung des Pendelraums der Ammer 

Schritt 1: Flusstypisierung
Einteilung nach den Steckbriefen der bundesdeutschen Fließgewässertypen (Pottgießer & Sommerhäuser 2008): 
  •  Gefällereiche Flussaue der Alpen/Voralpen mit Sommerhochwassern (nach Koenzen 2005)
  •  Flusstyp der Alpen und des Alpenvorlandes; Subtyp 3.2: Kleine Flüsse der Jungmoräne des Alpenvorlandes (nach Pottgießer & Sommerhäuser 2008) 
Schritt 2: Bestimmung des Pendelraums
A) Entwicklungskorridor nach UBA (Dahm et al. 2014)
Ermittlung des Entwicklungskorridors nach UBA (2014) für Typ 3.2: „Kleine Flüsse der Jungmoräne des Alpenvorlandes“.
B) Entwicklungskorridor nach LAWA (2016)
1) Ermittlung anhand flusstypspezifischer oder wenn vorhanden lokaler Parameter
2) Gewässerentwicklungskorridor: abzüglich Restriktionen (Siedlungen, Verkehrswege etc.)

Da sich die abiotischen Rahmenbedingungen an der Ammer im Verlauf des Projektgebiets ändern, wurde die Berechnung des Pendelraums nach LAWA für zwei separate Abschnitte berechnet. Im flussauf liegenden ersten Abschnitt bei Peißenberg beträgt der mittlere Abfluss 12,4 m3/s und das Talbodengefälle ist höher als nach dem Durchbruch durch die geologische Engstelle ab dem Knick der Ammer an der B472. Daher wurde dort ein Abschnittswechsel festgelegt und ab dort bis zur Ausleitung zur Alten Ammer der mittlere Abfluss des Pegels Weilheim (21,4 m3/s) verwendet.
1. Abschnitt (Peißenberg bis B472)
2. Abschnitt (B472 bis Alte Ammer)

Unbekannter Grenzfluss zu Frankreich: Die Blies

Der Fluss

Die Blies entspringt im Nordosten des Saarlands am Momberg. Ihr Lauf führt durch verschiedene geologische Einheiten (Rotliegendes, Karbon, Buntsandstein, Muschelkalk), wodurch die Blies unterschiedliche Strukturen ausbildet (Kihm, o.J.). Neben dem deutschen Saarland durchfließt sie auch das französische Lothringen und bildet auf 16 km die deutsch-französische Grenze. Sie ist der größte Nebenfluss der Saar und übertrifft bei ihrer Mündung mit einer mittleren Abflussmenge von 20,7 m³/s sogar deren Wasserführung.
Im Projektgebiet des Pendelraum-Projekts zwischen Einöd (Homburg) und Blieskastel fließt die Blies in einem breiten Tal. In der Aue dominiert die Grünlandnutzung und nur direkt am Fluss gibt es einen schmalen Gehölzsaum. Die Blies ist in diesem Raum als FFH- und Vogelschutzgebiet ausgewiesen und hat großes Potential für die Entwicklung natürlicher Flussstrukturen.  In den vergangenen Jahren konnten beispielsweise  mehrere Bruten von Bienenfressern (Merops apiaster) an den Bliesufern zwischen Homburg und Blieskastel nachgewiesen werden (Froehlich-Schmitt & Schmitt, 2021).
Abbildung 9: Die Blies wird im Projektgebiet von einem schmalen Galeriewald gesäumt (Fotos: I. Becker).

Die Bestimmung des Pendelraums der Blies

Schritt 1: Flusstypisierung
Einteilung nach den Steckbriefen der bundesdeutschen Fließgewässertypen (Pottgießer & Sommerhäuser 2008): 
  •  Gefällereiche Flussaue des Deckgebirges mit Winterhochwassern (nach Koenzen 2005)
  • Flusstyp der Mittelgebirge; Subtyp 9.2: Große Flüsse des Mittelgebirges (nach Pottgießer & Sommerhäuser 2008) 
Schritt 2: Bestimmung des Pendelraums
A) Entwicklungskorridor nach UBA (Dahm et al. 2014)
Ermittlung des Entwicklungskorridors nach UBA (2014) für Typ 9.2: „Große Flüsse des Mittelgebirges“.
B) Entwicklungskorridor nach LAWA (2016)
1) Ermittlung anhand flusstypspezifischer oder wenn vorhanden lokaler Parameter
2) Gewässerentwicklungskorridor: abzüglich Restriktionen (Siedlungen, Verkehrswege etc.)
Blies zwischen Einöd und Blieskastel

Wasserreicher Tieflandfluss im Osten: Die Mulde

Der Fluss

Die beiden Quellflüsse der Mulde, die Zwickauer Mulde und die Freiberger Mulde, vereinen sich südöstlich von Leipzig bei Sermuth (Sachsen) zur Vereinigten Mulde. Ihr Einzugsgebiet umfasst große Teile Sachsens und des Erzgebirges. Mit einer mittleren Wasserführung von fast 73 m³/s an der Mündung ist sie der viertgrößte Nebenfluss der Elbe, wird aber nicht beschifft. 

Für das Pendelraum-Projekt wurde die Vereinigte Mulde im Norden von Sachsen zwischen den Städten Eilenburg und Bad Düben betrachtet. Die Mulde und ihre Auen sind in diesem Bereich zum Teil sehr naturnah und u. a. als Landschafts-, Naturschutz- und FFH-Gebiet geschützt. Jedoch bestehen abschnittsweise auch flussnahe Deiche, die eine vielfältige Uferstrukturierung verhindern, die Vernetzung zwischen Fluss und Aue einschränken und die Überschwemmung unproblematischer Flächen im Hochwasserfall reduzieren wie beispielsweise bei der Ortschaft Gruna (s. Abbildung 17). Hier besteht ein Aufwertungspotenzial sowohl für den Hochwasserschutz als auch für ökologische Belange. 

Die Bestimmung des Pendelraums der Mulde

Schritt 1: Flusstypisierung
Einteilung nach den Steckbriefen der bundesdeutschen Fließgewässertypen (Pottgießer & Sommerhäuser 2008): 
  •  Gefällereiche Flussaue des Flach- und Hügellandes mit Winterhochwassern (nach Koenzen 2005)
  • Flusstyp des Norddeutschen Tieflands; Typ 17: Kiesgeprägte Tieflandflüsse (nach Pottgießer & Sommerhäuser 2008)
Schritt 2: Bestimmung des Pendelraums
A) Entwicklungskorridor nach UBA (Dahm et al. 2014)
Ermittlung des Entwicklungskorridors nach UBA (2014) für Typ 17: „Kiesgeprägte Tieflandflüsse“.
B) Entwicklungskorridor nach LAWA (2016)
1) Ermittlung anhand flusstypspezifischer oder wenn vorhanden lokaler Parameter
2) Gewässerentwicklungskorridor: abzüglich Restriktionen (Siedlungen, Verkehrswege etc.)
Mulde zwischen Eilenburg und Bad Düben

Abbildung 23: Aktuelle Situation der Mulde vor Ort

Auwälder an der Mulde

Naturnahe Auenwälder, wie man sie an einem Fluss erwarten würde, sind im Gebiet der Mulde nur kleinflächig als Restbestände vertreten. Die drei größten Bestände waren ein Kiefernwald östlich von Glaucha, eine Fläche bestehend aus Fichtenforst und Eichen-Mischwäldern im Zentrum des Projektgebiets gegenüber von Laußig  und ein Eichenhain im Süden des Projektgebiets gegenüber von Gruna. Aber auch an diesen Beständen sowie einzelnen Baumgruppen in der offenen Landschaft, kann man bei genauerer Analyse Anhaltspunkte für die Zusammensetzung der ehemaligen Hartholzauenwälder und ihrer Nutzung finden. Betrachtet man die vorhandenen Reste des Eichenwaldes und die einzelnen Eichen, die im Offenland stehen sowie die Vegetation in kleineren Senken und Mulden, die durch die frühere Flussdynamik entstanden sind, ist es vorstellbar, dass Eichen-Ulmenauenwälder früher stärker im Projektgebiet verbreitet waren (Abbildung 1). An einzelnen alten Eichen mit ihrem teilweise freigelegten Wurzelwerk kann man Spuren der ehemaligen Eichelmast feststellen, die in den damaligen Eichenwäldern durchgeführt wurde. Vereinzelt konnte Eichenverjüngung im Projektgebiet beobachtet werden (Abbildung 3). An etwas höher liegenden Stellen der Aue, sind auch Eichen-Buchen-Hainbuchenwälder zu finden, die einen wichtigen Teil im Biotopverbund von Waldflächen darstellen und einen Übergang zu den Waldbereichen in der Aue bilden (Abbildung 2).


Abbildung 1 Eichenwälder sind im Zentrum des Projektgebietes gegenüber Laußig zu finden

Abbildung 2 Eichen-Buchen-Hainbuchen-Mischwälder                                                Abbildung 3 Eichenverjüngung auf einer offnen Sandfläche (rechts)

in höherliegenden Flächen im Projektgebiet (links) (Fotos: E.Schneider)


Weichholzauenbestände zeichnen sich meist in Form von Säumen (nicht kontinuierlich) entlang der Mulde und einigen der Mäander ab (Abbildung 4). Geschlossene Säume und flächige Weichholzauen kommen im Gebiet nicht vor, da viele Flächen in Grünland und Ackerland umgewandelt wurden. Tiefere, feuchte Mulden in der ehemaligen Hartholzaue sind stellenweise von Weidengruppen und Schwarzerlen besiedelt (Abbildung 5).


Abbildung 4 Junger Wiedensaum entlang einer Kiesbank südlich vvon Hohenprießnitz und blühendes gewöhnliches Seifenkraut (Saponaria officinalis) (Foto: I. Becker)

Abbildung 5 Erlen und Weiden in tieferliegenden Senken gegenüber Gruna (Foto: I. Becker)

Dank der streckenweise ausgeprägten Dynamik an der Mulde mit Umlagerungsprozessen und Entstehen von neuen Kiesinseln sind für die Weiter- bzw. Wiederentwicklung von diesen Standorten im Rahmen von Renaturierungsmaßnahmen die passenden Weichholzarten zur Besiedlung im Gebietsumfeld gegeben. Mit der Vielfalt der vorkommenden Weidenarten ist dieses ein realistisches Ziel, das verfolgt werden soll, laut Stegner (2011) besteht in diesem Gebiet ebenfalls ein großes Potenzial zur Wiederherstellung von Auwäldern. Hohe Geländekanten und Abbruchkanten, zum Teil alte Sandablagerungen, wie sie an Sanddünen vorkommen, sind auch an der Mulde festzustellen. Es sind günstige Standorte für die Entwicklung von Rotkieferbeständen, so wie sie nördlicher bei Glaucha auch auf Sanddünen vorkommen (Abbildung 6).


Abbildung 6 Kiefernwald auf einer Sanddüne an der Mulde bei Glaucha (Foto: I. Becker)

Einige Waldbereiche im Zentrum des Projektgebiets linksufrig von Laußig wurden in Fichtenforste umgewandelt, die von naturnahen Wäldern weit entfernt sind (Abbildung 7). Diese wieder in naturnahe Laubholzforste zurückzuführen, ist eine zukünftige Aufgabe.


Abbildung 7: Fichtenforst im Zentrum des Projektgebiets mit Schäden durch die Trockenheit der trockenen Sommer mehrerer aufeinanderfolgenden Jahren, hier im Sommer 2020 (Foto: I. Becker)

Andere Projekte an der Mulde

"Wilde Mulde- Revitalisierung einer Wildflusslandschaft in Mitteldeutschland"

Zur Website der Wilden Mulde

Flussab des Projektgebiets in Sachsen-Anhalt im Landkreis Anhalt-Bitterfeld zwischen der Mündung bei Dessau-Roßlau flussaufwärts bis Retzau wurde kürzlich das Projekt „Wilde Mulde - Revitalisierung einer Wildflusslandschaft in Mitteldeutschland“ abgeschlossen. Das Projekt wurde vom WWF Deutschland (Verbundkoordination, Umsetzungspartner), Helmholtz Zentrum für Umweltforschung (UFZ) (Forschungspartner), Technische Universität 13 Braunschweig (Forschungspartner), Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden (Forschungspartner), Universität Leipzig (Forschungspartner), Leibniz-Universität Hannover (Forschungspartner) im Zeitraum vom Dezember 2015 bis November 2020 umgesetzt (Forschung zur Umsetzung der nationalen BiodiversitätsStrategie o.J.). Das Untersuchungsgebiet wurde ausgewählt, da es in diesem Flussabschnitt teilweise noch unverbaute Ufer gibt, welche dynamische Prozesse und einen Austausch mit den naturnahen Auenbereichen ermöglichen (WWF 2016). Für die Revitalisierung des Flusses sollten Naturufer wiederhergestellt und Seitenarme wieder angebunden sowie eine initiale Entwicklung von Hartholzwäldern ermöglicht werden. Die Wiederanbindung des Flusses an die angrenzende Aue wurde damit gefördert (Helmholz Zentrum für Umweltforschung 2018). Die Arbeit vor Ort wurde von verschiedenen Forschungsarbeiten zu den Auswirkungen der Maßnahmen auf die Arten, Biodiversität und deren Wechselbeziehungen begleitet. Dafür wurde der Flussabschnitt in fünf Untersuchungsgebiete unterteilt, in denen die einzelnen Maßnahmen umgesetzt werden konnten.

Um die Entwicklung der renaturierten Bereiche vergleichen zu können, wurden 2 Referenzbereiche festgelegt, die natürliche Uferbereiche und veränderte Uferbereiche hatten. Die geplanten Maßnahmen konnten alle im Laufe des Projektes umgesetzt werden und somit wurde das Projekt Ende des Jahres 2020 erfolgreich abgeschlossen (Schulz-Zunkel et al. 2019). Insgesamt konnte festgestellt werden, dass die Wiederherstellung des Naturufers dafür gesorgt hat, dass die Mulde am Prallhang das Ufer wieder unterspülen konnte. Somit kam es beim ersten Hochwasser zu einer Uferverschiebung, welche neuen Lebensraum für flusstypische Arten entstehen ließ. Ebenso konnte die typische Fließgeschwindigkeit an den renaturierten Ufern wiederhergestellt werden, um nur einige Beispiele zu nennen (Schrenner et al. 2020).

"Lebendige Mulde- Wiederherstellung von Überschwemmungsbereichen an der Mulde"

Ein weiteres Projekt an der Mulde war die „Lebendige Mulde - Wiederherstellung von Überschwemmungsbereichen an der Mulde“. Die Idee wurde vom sächsischen Staatsministerium für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft (SMEKUL) und dem Landratsamt Nordsachsen konkretisiert. Das Ziel des Projektes war es, Möglichkeiten für natürliche Überschwemmungsbereiche der Mulde zu schaffen, welche im Hochwasserfall als Überschwemmungsflächen zur Verfügung stehen (Landkreis Nordsachsen 2021b).

Vor Beginn des Projektes gab es über 2 Jahre Informationsveranstaltungen und eine Kommunikation zwischen den verschiedenen Interessensgruppen, beispielsweise in öffentlichen Gemeinderatssitzungen. Anschließend folgte eine Öffentlichkeitsbeteiligung im Onlineverfahren und ein gemeinsamer Workshop für die geplanten Maßnahmen. Die beteiligten Gemeinden hatten von Beginn an Bedenken bezüglich der negativen Auswirkungen auf die Landwirtschaft, unterstützten aber die Durchführung der Machbarkeitsstudie (Fischer 2019). Für die bessere Planbarkeit des Hauptvorhabens wurde im Voraus eine Machbarkeitsstudie durchgeführt. Im Rahmen dieser Studie kam es zu einer erneuten Bürgerbeteiligung, um deren Interessen in die Studie mitaufnehmen zu können. Nachdem diese Befragung für 3 von 4 eine Zustimmung für das Vorhaben von 51% ergab und für den anderen Abschnitt von nur 7%, wurde das Projekt aufgrund von zu geringer regionaler Unterstützung im Jahr 2020 eingestellt. Ob die Abschnitte mit der höheren Zustimmung in ein alternatives Projekt miteinbezogen werden, steht noch nicht fest. Das zuständige Ministerium prüft aktuell die Möglichkeiten (Landkreis Nordsachsen 2021a). 

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