Die Idee des auf Deutschland zu übertragenden Konzeptes sieht nun vor, Fließgewässern einen definierten Korridor (den „Freien Pendelraum“) zur Verfügung zu stellen, in dem sich der Fluss frei bewegen kann. Dafür muss für jeden Fluss bzw. jeden Flussabschnitt mit homogenen Eigenschaften die benötigte Gewässerentwicklungskorridorbreite bestimmt werden, die dem Fluss zur Verfügung gestellt werden kann (genaues Vorgehen s. u.).
Die benötigten Flächen müssen gesichert werden. Besonders eignen sich Flächen, die sich bereits im öffentlichen Eigentum bzw. im Eigentum von Naturschutzstiftungen u. ä. befinden, Privatflächen sollten erworben bzw. mit flussferneren Flächen im öffentlichen Besitz getauscht werden. Für einige Maßnahmen oder auch Flächenerwerb können Förderungen geltende gemacht werden. Details zu diesen Vorgehensweisen sind auf der Seite „Umsetzungsdetails“
erklärt.
Nach Entfernen vorhandener Ufersicherungen, ggf. des Sohlverbaus und anderer Einschränkungen des Flusslaufs in diesem Bereich werden zunächst keine weiteren Eingriffe durchgeführt, sondern der Fluss darf sich innerhalb des ausgewiesenen Pendelraums frei bewegen. Durch das Nutzen der landschaftsgestaltenden Kraft des Gewässers können sich einerseits die für den Flusstyp charakteristischen Strukturen und Lebensräume ausbilden und andererseits werden dadurch sowohl die Baukosten für sonstige Renaturierungsmaßnahmen als auch die Unterhaltungskosten der Ufersicherungen verringert. Bauliche Maßnahmen werden nur lokal in Erwägung gezogen, wenn der Fluss an erosionsanfälligen Stellen den Rand des Pendelraums erreicht oder wenn der Fluss durch den Menschen bereits so stark verändert und beispielsweise eingetieft ist, dass sich ohne Initialmaßnahmen kaum Strukturen entwickeln.
In den Flächen innerhalb des Freien Pendelraums werden dynamische Prozesse zugelassen, welche für das Funktionieren einer Aue charakteristisch und notwendig sind. Dies bedeutet gerade in flussnahen Bereichen eine ständige Veränderung der Standortbedingungen. Dadurch entstehen kleinräumig unterschiedlich Strukturen und damit viele Lebensräume für die auentypischen Pflanzen- und Tierarten, die durch die menschlichen Einwirkungen in Flusssysteme heute häufig gefährdet sind. Diese Lebensräume werden im Pendelraum wirksam und nachhaltig geschützt.
Ein weiterer Vorteil durch die Einrichtung eines Pendelraums ist, dass die Auenflächen wieder direkt mit dem Fluss verbunden sind, wodurch sich eine Reihe von Synergien ergibt. Neben der erwähnten Erhaltung der Biodiversität wären auch weitere Ökosystemdienstleistungen, wie Nährstoffrückhalt in den Auen, Grundwasseranreicherung und –filterung verbessert. Auch naturschutzfachliche Ziele, wie die europäischen Vorgaben zum Arten- und Biotopschutz durch das Natura 2000-Netz aus Schutzgebieten oder die Wasserrahmenrichtlinie zur länderübergreifenden nachhaltigen Wasser- und Gewässernutzung, werden durch den Pendelraum gefördert. Das Konzept leistet dadurch einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der in den oben genannten Richtlinien festgelegten Ziele.
Ein wichtiger Effekt ist zudem die Bereitstellung von unproblematischen Retentionsflächen entlang der Flüsse. Diese können im Hochwasserfall überschwemmt werden, ohne die menschlichen Nutzungsräume zu schädigen. Die in der Aue lebenden Pflanzen- und Tierarten sind an die regelmäßigen Überschwemmungen angepasst. Bei zukünftigen Abflussänderungen, beispielsweise einer erhöhten Hochwassergefahr durch den Klimawandel, wäre der zusätzliche Raum entlang der Flüsse ein wirksamer Puffer, um diese abzufangen.